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Nele, Einsatz im Projekt Animal Rescue

Von Wickelbären und Avocadobroten

Hallo an alle!

ich bin Nele, 19 Jahre alt und gebürtig aus Mönchengladbach (NRW) und sitze gerade in La Concordia, Ecuador.

Normalerweise werde ich kulinarisch bestens versorgt, aber heute ist ein besonderer Abend: Ich bin heute alleine und zum Abendessen mache ich mir Brot mit Guacamole. In Deutschland fragt man sich, was das Besondere daran ist, aber ich genieße gerade zum zweiten Mal seit fünf Monaten herzhaftes Sonnenblumen-Dinkelmehl-Brot, welches ich von meiner Mitfreiwilligen zum Geburtstag bekommen und portioniert eingefroren habe. :) Ja, wie bin ich eigentlich in diese Situation gekommen? Ich nehme an dem weltwärts- Freiwilligendienst teil, welcher einen Lerndienst für junge Erwachsene darstellt und vom Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit gefördert wird. Ich wusste schon immer, dass ich mich nach meinem bestandenen Abitur nicht direkt für eine Ausbildung oder Uni bewerben möchte, sondern viel lieber noch einmal raus in die weite Welt möchte. Weil mir Natur und Tiere sehr liegen, habe ich mich für das Animal Rescue-Projekt für wilde Tiere in La Concordia entschieden. Was bedeutet das? KulturLife schreibt dazu: “Das Animal-Rescue-Center ist ein Rettungs- und Erholungszentrum für Wildtiere, die in Gefahr waren. Das Projekt befindet sich in einem privaten Reservat, welches für den Schutz der umliegenden Natur errichtet wurde. Ziel des Projekts ist es, wilde Tiere wie z.B. Affen, Wildkatzen, Reptilien oder Faultiere in Not zu retten, rehabilitieren und sie zurück in ihren natürlichen Lebensraum zurückzubringen, sobald sie dafür bereit sind.” Und das könnte ich nicht besser beschreiben! Wie sieht mein Alltag aus? Kurzgesagt: es gibt keinen Alltag. Die Tiere werden von der Polizei, Privatleuten oder dem Ministerium für Umgebung und Wasser gebracht, dies bedeutet, jeden Tag können Tiere in den verschiedensten gesundheitlichen Stadien kommen. Das kommt natürlich meist sehr spontan, sodass jeden Tag Tiere in den verschiedensten gesundheitlichen Stadien zu uns kommen. Von leider bereits in einem sehr kritischen Zustand bis hin zu viel zu übergewichtig, weil dieses Tier vorher ein Haustier war, kann alles kommen. Die einzige Routine ist die morgendliche Fütterungsrunde um acht Uhr, mein Start in den Tag. Danach (oder dazwischen) ist alles variabel. Zusätzlich zur Fütterung kümmern wir uns hier auch teilweise um den Papierkram, der anfällt, haben ein offenes Auge für Bildmaterial für die Social-Media-Kanäle, bauen Bambushäuser für weitere Freiwillige, ernten Papaya und Bananen auf den hauseigenen Feldern, machen Gehege sauber, helfen bei den Behandlungen und machen eigentlich alles, wo eine helfende Hand gebraucht wird. Meistens, wenn kein “Notfalltier” ankommt, endet der Arbeitstag so gegen 17 Uhr.

An den Wochenenden besuche ich immer mal wieder meine Mitfreiwilligen von KulturLife, bade im fünf Minuten entfernten Río Blanco, gehe shoppen und jeden zweiten Abend jogge ich mit unserem deutschen Schäferhund, der brillant als Wachhund ist. Dadurch, dass wir auf dem Projektgelände und somit in einem Naturreservat wohnen, ist es nach dem Feierabend sehr ruhig und ich habe angefangen, Tagebuch zu schreiben. Darin stehen alle meine bisher erlebten Highlights. Ein Mega-Highlight war, dass wir uns um fünf Uhr morgens in einem super alten, definitiv nicht leistungsfähigen, Omnibus auf die Reise ins neun Stunden entfernte Puerto Lopez gemacht haben. Dort gibt es einen riesigen Nationalpark, in dem wir Ozelots, Kapuzineraffen, Wickelbären und Wildhühner ausgewildert haben. Nach der ersten halben Stunde Fahrt dann der Oberknaller: ein Hinterreifen ist geplatzt. Gott sei Dank hatte diese Blechbüchse einen Ersatzreifen, also ging die Fahrt weiter. Begleitet haben uns für den Transport der Tiere auch sechs Soldaten der Spezialeinheit und ein Kamerateam durfte auch nicht fehlen. Die Auswilderung war für mich und das ganze Team sehr emotional, weil man mit der Zeit schon ein Verhältnis zu den Tieren aufbaut und sich einfach freut, wenn ein Wickelbär, der mit zwei gebrochenen Beinen zu uns gekommen ist, jetzt in die “Freiheit” entlassen wird.

Was fällt mir schwer? Der weltwärts-Freiwilligendienst beschreibt sich als Lerndienst, was ich genauso unterschreiben kann. Ich lerne hier jeden Tag aufs Neue etwas! Und merke jeden Tag, dass ich weiter an mir, gar an meinen Weltvorstellungen arbeiten kann und auch muss! Und, um ganz ehrlich zu sein, ist es hier als Frau auch noch ein anderes Umfeld, als wir es in Deutschland gewohnt sind. Als Frau muss ich für mich mehr einstehen, als ich es bisher tun musste, denn: ich arbeite als Frau in einem Projekt, in dem die Festangestellten nur Männer sind, in einem Land, wo die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau noch sehr stark präsent ist und wir die ersten weltwärts-Freiwilligen dieses Projektes sind. Das bedeutet, ich verhandele oder muss jedes Mal aufs Neue bei körperlicher Arbeit beweisen, dass ich das auch kann, ich muss mich behaupten. Manchmal lasse ich die Diskussion bleiben und kümmere mich um “leichtere” Arbeit. Nach fünf Monaten haben meine deutsche Mitfreiwillige und ich uns unseren Platz aber auch erkämpft, sind als gute Helferinnen anerkannt und haben den Weg für weitere weibliche Freiwillige geebnet. Hilfreich ist dabei auch der Familienanschluss, den wir hier haben. Eigentlich essen wir unsere Mahlzeiten immer gemeinsam, grillen immer mal wieder und unternehmen auch schonmal gemeinsame Aktionen. Zu meinem Geburtstag habe ich mir ein Lagerfeuer gewünscht und alle Mitarbeiter und deren Familien sind gekommen, richtig schöner Abend. Nur beim Sonnenblumen-Dinkelmehl-Brot, da … da bin ich nicht traurig, nicht teilen zu müssen.

Zusätzlich gibt es noch eine Sprachbarriere. Ich hatte Spanisch in der Schule und war mit KulturLife auch in Spanien bei einem Sprachpraktikum. Macht mich jetzt nicht zur Senora Espanol, aber ich würde mal behaupten, dem Spanischen einigermaßen gewachsen zu sein. Hier in Ecuador spricht man zwar Spanisch, allerdings wurden in der Alltagssprache viele Wörter aus den indigenen Sprachen übernommen. Die Verständigung insbesondere am Anfang erwies sich dadurch als etwas schwierig. Aber auch an diesen Herausforderungen sind wir gewachsen und bis jetzt ist noch kein Tier aufgrund unserer Sprachbarrieren gestorben. Ich arbeite in einem Umfeld und mit Menschen, bei denen ich schnell gemerkt habe, dass mich keiner für meine grammatikalischen oder sonstigen Fehler auslacht, weshalb ich hier sehr schnell das Selbstbewusstsein bekommen habe, einfach draufloszureden.

Ich kann dieses Projekt und dieses Land jedem weiterempfehlen, der auf der Suche nach Leuten ist, die einfach ihr Leben genießen, der für eine Sachen brennt, der an Situation wachsen und gemeinsam im Team was erreichen will! Man liest es immer wieder, aber es stimmt: so eine Chance bekommt man meist nur einmal im Leben. Bei mir ist bald gerade mal Halbzeit, und doch weiß ich schon jetzt, dass ich von diesem Erlebnis, diesem Jahr noch lange zehren kann und an diesem Erlebnis wachsen werde. Ach, eine weitere Sache musste ich schmerzlich lernen – vergesst den Mückenschutz nicht….! Und damit liebe Grüße aus dem regnerischen Ecuador! :)

Nele

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